Karmeliterkirche, Wiener Neustadt

Ausstellung „Entwicklungen" Beatrix Kaser
Karmeliterkirche Wr.Neustadt
12. Mai 2005

 

o.Univ. Prof. Dr. phil. Manfred Wagner
Universität für angewandte Kunst


Als Verfasser der niederösterreichischen Kulturgeschichte sehe ich es mit großer Freude, dass eine so große Anzahl von Verantwortlichen aus der Politik auch zu Ausstellungen und Kunstereignissen geht. Tatsächlich ist es ja so, dass diese Ereignisse wahrscheinlich mehr als die wirtschaftlichen Eckdaten die Identität einer Gemeinde oder Gemeinschaft prägen und in welche Richtung diese Identität geht im Interesse des innerpolitischen Wirkens der dafür Gewählten mache ich Ihnen insofern ein Kompliment, dass Sie in einer so großen Anzahl hier vertreten sind.
Ich habe eigentlich mein gesamtes akademisches Leben, mit Beatrix Kaser verbracht. Wir kennen uns also 32 Jahre von Anfang an. Sie hatte an der damaligen Hochschule für angewandte Kunst ein Studium absolviert. Sie wissen, dies war die alte Kunstgewerbeschule, wo Gustav Klimt Lehrer war, wo Kolo Moser Lehrer waren, also die Schule, die den Wiener Jugendstil getragen hat. Frau Kaser war von Anfang an eine Person, die es sehr radikal mit sich selber gemeint hat. Dies ist ziemlich einfach für Maler, Bildhauer, auch relativ einfach für Architekten, weil die ja tatsächlich in ihren Arbeiten umsetzen müssen, was sie denken und auch einen Markt finden müssen. Textilkünstler haben es viel, viel schwerer.
Erstens befand sich die Textilkunst damals und, wie ich meine, auch heute noch, in einer Art Krisensystem, weil keine richtige Definition mehr vorhanden war, was man denn mit Textil anfangen sollte. Es war einerseits der Gobelin aus der Mode geraten und er war auch durch den Nationalsozialismus desavouiert worden. Er ist nebenbei bemerkt arbeitstechnisch aufwendig. Der Gobelin ist in Wirklichkeit eine textile Wiedergabe eines Werkes eines Malers.
Der zweite Punkt war, dass Textil als spezifische Fertigkeit, als Frauenfertigkeit ebenfalls desavouiert gewesen war. Wir haben es ja in den Lehrplänen gesehen, in der Schule gesehen. Wir wissen, dass das textile Gestalten als Unterrichtsfach so problematisch ist, dass ich seine relativ baldige Auflösung voraussehe. Das heißt, dass damit auch ein Traumbild den Bach hinunter geht, das früher sich selbst und seine Umgebung, sein Ambiente ausgestattet hat mit Arbeiten, die textiler Natur waren. Und dann gibt es natürlich auch junge Künstler, die versuchen dieser Arbeit einen neuen Sinn zu geben. Was ist jetzt die Thematik dieser Beatrix Kaser? Die Thematik ist im Wesentlichen das Problem „Ich". Und zwar nicht das Problem „Ich" aus der Ich-Bezogenheit, wie wir das heute kennen, das darin besteht, dass möglichst viel konsumiert wird und möglichst wenig geteilt wird, sondern das Problem der Auseinandersetzung mit der eigenen Existenz, speziell der wirklichen Existenz. Das ist nebenbei bemerkt ein großes Thema in der österreichischen Kunstgeschichte: Man sieht das an Maria Lassnig, die ihr ganzes Leben nichts anderes getan hat als ihren Körper mit der organischen und anorganischen Welt in Verbindung zu setzen oder denken sie an die Objektkünstlerin, Videokünstlerin Valie Export, die nichts anderes getan hat als ihren Körper als Material einzusetzen mit ihren ersten Arbeiten in den 60 er Jahren, mit dem Tastkino. Denken Sie an den jungen Shootingstar Frau Krystofek, die ebenfalls nichts anderes tut, als in Selbstdarstellungen sich, ihre Weiblichkeit, ihre Art zu leben, ja sogar ihren Stoffwechsel in Kunstaktionen umzusetzen.
Frau Kaser setzt also ihr Ich um und sie setzt dieses Ich ohne Zweifel in starkem Bezug zu ihrer Weiblichkeit um. Ihre Weiblichkeit definiert sie, wenn Sie so wollen in verschiedenen Ebenen: in der Ebene der Körperöffnungen, in der Ebene des Geschlechts, eine starke Verhaftetheit in der Sexualität, in der weiblichen Sexualität und der männlichen, sie kommt erst später und ist ein Pendant, ein Gegenstück zu dieser weiblichen Sexualität und vor allem auch in der Verletzung dieser Sexualität, wie es die Geburt darstellt, in den Verletzungen, die im Laufe eines Lebens zugefügt werden, in den Verletzungen, die tatsächlich auch mentale Unterleibsverletzungen sind. Nicht unbemerkt sollte bleiben, dass auch die Körperöffnung des Mundes eine wesentliche Dimension darstellt. Also in Wirklichkeit hat sie ihr ganzes Leben, dieses Ich, dieses Ich der Sexualität, der weiblichen Sexualität an sich überlegt und reflektiert. Sie hat dies in Großformaten getan, was ganz selten ist bei Textilien. Für die Objekte von Frau Kaser jedoch brauchen Sie Platz, aber sie beansprucht auch diesen Platz, weil sie meint, dass diese Auseinandersetzung eine grundlegende Auseinandersetzung ist. Diese grundlegende Auseinandersetzung funktioniert mit einem völlig einfachen Material, nämlich dem Sisal. Sisal ist ein Billigstoff. Er gehört nicht zu den kostbaren Werkstoffen, er gehört zu den Werkstoffen der arte povera, der armen Kunst. Sisal ist quasi die Identifizierung, dass das ein Modell für jedermann ist, also ein zutiefst demokratisches Element, dies ist nicht die Seide des Adels, das ist auch nicht die Seide der Unterwäsche, das ist auch nicht das sich Umgeben mit angenehmen Stoffen wie Wolle, Kaschmir, Samt. Sisal ist ein ziemlich rauer unangenehmer Stoff, aber wie man sieht ein durchaus gestaltbarer Stoff. Diese Gestaltung ist und auch das sieht man an diesen Arbeiten, diese Gestaltung ist nicht die Übertragung eines vorgestellten Modells auf ein Material. Auch das ist möglich in der Kunst, beispielsweise der Jugendstil hat für die Idee der Translokation des Gedankens plädiert. Tenor: Ich führe mir diese Idee geistig vor und dann suche ich mir das entsprechende Material. Das ist die Übertragung eines virtuellen Gedankens auf ein materielles System. Das macht Beatrix Kaser nicht, sondern sie sagt, das Material hat eine Eigendynamik, hat eine Eigenstruktur. Sie sagt: „Ich beginne mit dem Material und ich versuche während der Arbeit mit dem Material daraus eine endgültige Formulierung des Grundgedankens, den ich habe, zu finden."
Diese Arbeit ist eine sehr schwierige, weil sie von zwei Seiten kommt. Sie kommt einerseits von der psychischen, einer schweren Umsetzung und dazu gehört auch einiger Mut, weil es eine Art Nachaußenstülpen eines sehr intimen Bereiches ist und auf der anderen Seite einem Material gerecht wird, das von sich aus bestimmte Arbeitsweisen und bestimmte Strukturweisen erfordert. Sie kennen den englischen Ausdruck „exhibition" und dieser Ausdruck ist der harmlose Ausdruck für Ausstellung. Aber es ist tatsächlich eine Art von Exhibition, die sie vornehmen muss und die sie auch vornimmt und diese Exhibition verlangt schon auch einiges Zurücktreten des eigenen Ichs, ein sich Ausliefern mit den verletzten Vulven, mit den Schamlippen, mit den Haaren, mit den Brüsten, mit dem Mund, mit dem Blut, ein sich Ausliefern einer voyeuristisch angehauchten Öffentlichkeit.
Frau Kaser ist eine Dame. Sie ist eine Dame, die von Anfang an dieses sehr heikle Problem, das andere Kolleginnen von ihr, Frau Krystofek habe ich schon erwähnt, in einer unendlichen Brutalität und Freude quasi nach außen spielen, ganz anders herangeht. Sie hat es geschafft, dieses Element in Würde und Diskretion vorzutragen und zu zeigen dass es so tatsächlich erlaubt ist auch mit diesen Objekten zu leben. Und das ist der entscheidende Punkt. Es geht ihr nicht darum, irgendjemanden zu schockieren oder irgendjemanden vor den Kopf zu stoßen oder Schlagzeilen zu erreichen. Sie wissen, Schlagzeilen sind heute ein Problem, welches aber eigentlich für die Kunst irrelevant ist. Viele Künstler haben es gemacht, wir wissen heute, es ist völlig irrelevant. Nein, sie hat es anders versucht, sie hat es mit einer ganz ernsthaften Untersuchung, Untersuchung der eigenen Frauvorstellungen, des eigenen Umgangs mit Sexualität versucht. Man darf diese Arbeiten nicht rein biographisch werten. Das ist ein Fehler, der oft gemacht wird, auch von Kunsthistorikern, sondern man muss sie damit werten, dass ein Grundproblem existiert, das anscheinend bei vielen Künstlern existiert, aber spezifisch bei Frauen ,nämlich das Grundproblem des eigenen Körpers, dieses Aufgerissensein, dieses quasi Ausgeliefertsein, dieses auch Bezwungenwerdenmüssen von der männlichen Sexualität, die ja immerhin ein physikalischer Gegenpol ist. Wenn man das strikt nimmt, dann ist dieses Modell ein physischer Nachdenkakt, den man, wie man an den Arbeiten sieht, ein Leben lang machen kann, wobei natürlich auch die Offenheit variieren könnte. Es gibt Offenheiten wie die hier in dieser ältesten Arbeit, die tatsächlich quasi für jeden frei ersichtliche Offenheit dieses Geburtstraumas, wo ganz klar ist, dass hier dieser merkwürdige Geburtsvorgang nicht nur die Freude eines Kindes bringt, sondern auch das Zerreißen des eigenen Körpers, aber es gibt auch für jeden ersichtlich Cocoons, Versteckungen, Verhüllungen und diese Verhüllungen sind in einem Zyklus fast paradigmatisch aufgemacht. Sie sehen hier die Entwicklung von einem jungen Mädchen zur Frau, die auch ihre Reife durch immer mehr Verletzungen erhält. Wahrscheinlich ist das eine tiefe Lebensweisheit, dass zur Reife die Ansammlung von Verletzungen zählt und dass am Ende dieses Reifeprozesses also die Bewältigung der Verletzungen und auch der Höhepunkt, das Erlangen der Reife selbst, steht.
Frau Kaser hat also mit diesen Arbeiten ihr Leben lang und völlig unabhängig vom Markt, der sie manchmal lieber mochte und manchmal weniger gern hatte, diese eine Idee verfolgt. Ich bin mir ganz sicher, sie wird diese auch weiterhin verfolgen. Es lohnt sich diese Arbeiten in ihrer Geistigkeit zu akzeptieren, es lohnt sich aber für meine Begriffe auch sehr eine solche Arbeit zu erstehen. Ich habe selbst eine Arbeit von Frau Kaser zu Hause. Es lohnt sich aber auch sich mit dieser Arbeit in einer direkten Konfrontation auseinander zu setzen. Sie ermöglicht diese Konfrontation. eigentlich nur durch relativ niedrige Preise. Textile Preise sind heute sehr hoch, weil die Preise für Arbeitsstunden so hoch liegen. Beatrix Kasers Preise sind niedrig. Das Einzige, was Beatrix Kaser für ihre Arbeiten braucht, sind relativ freie, große Wände, aber wenn man ernsthaft überlegt, die Auseinandersetzung mit dem Ich der Frau braucht eben einen erhebenden, respektierten Platz, nicht nur in unserer Gesellschaft, sondern auch an unseren Wänden. Wenn Sie sich diese Arbeiten ansehen, besonders auch die Geschlechtsgenossinnen, dann werden Sie entdecken, dass Vieles von dem, was Sie versäumt haben zu denken, zu fühlen, zu spüren gewagt haben, von Beatrix Kaser formuliert wurde, sodass Sie eine Art Identifikation damit herstellen können und das Herstellen von Identifikation ist eigentlich das, was die Kunst selbst möchte. Die Kunst selbst möchte nichts anderes tun als eine Botschaft, eine sinnliche Botschaft an einen Empfänger zu bringen, der imstande ist in seiner Gedankenwelt für kurze oder längere Zeit mit der Gedankenwelt des Künstlers, der sie formuliert, eine Art Symbiose einzugehen. Und dass Sie das schaffen, das würde ich Ihnen und der Frau Kaser sehr wünschen!

o.Univ. Prof. Dr. phil. Manfred Wagner
Universität für angewandte Kunst